TeDo: Korpus telefonisch gedolmetschter, arabisch-deutscher Beratungsgespräche

Blog-Post von Rahaf Farag

Im August 2023 wurde beim Zentrum für nachhaltiges Forschungsdatenmanagement der Universität Hamburg erstmals ein Korpus aus telefonisch gedolmetschten, arabisch-deutschen Beratungsgesprächen veröffentlicht. Das Korpus ist online und offline zugänglich. Der Zugang wird unter Angabe einer entsprechenden Begründung (Nutzung in Forschung und Lehre) gewährt:

Meyer, Bernd / Farag, Rahaf. (2023). Telephone Interpreting German-Arabic (TIGA) / Telefondolmetschen Arabisch-Deutsch (TeDo) (Version 1.0) [Data set]. [http://doi.org/10.25592/uhhfdm.13191].

Forschungsrahmen

Das TeDo-Korpus wurde im DFG-Projekt ME 3439/3 Turn-taking und Verständnissicherung beim Telefondolmetschen Deutsch-Arabisch am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erstellt. In diesem Projekt wurden Verfahren des Sprecherwechsels und der Bearbeitung von Kommunikations- bzw. Verständigungsbrüchen, wie der Bedeutungsaushandlung, in authentischen, aber arrangierten, dolmetschvermittelten Beratungsgesprächen untersucht. Der wissenschaftliche Ansatz stützte sich größtenteils auf die interaktionsorientierte Dolmetschforschung und die linguistische Gesprächsanalyse.

Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, wie dem Telefon und App-basierten Lösungen, ermöglicht ortsunabhängige und recht spontane Dolmetschleistungen. Gerade in der Kommunikation mit Geflüchteten ist das Telefondolmetschen, aufgrund mangelnder Alternativen, eine verbreitete Praxis in Unterkünften und Betreuungs- sowie Beratungskontexten. In dolmetschgestützten Gesprächen geht die Präsenz einer dritten Partei, der dolmetschenden Person, grundsätzlich mit zusätzlichen kommunikativen Herausforderungen einher. Der Umgang mit Sprachbarrieren und Wissensdivergenzen erfordert zusätzliche koordinierende Handlungen, die über die herkömmlichen Verfahren der Gesprächsorganisation hinausgehen. Erwähnt seien beispielsweise inhaltsbezogene Redezüge, wie etwa Reformulierungen und Nachfragen bei Verstehensproblemen, sowie Handlungen, die einen geordneten Verlauf des Gesprächs ermöglichen sollen, wie etwa die explizite oder implizite Turnzuweisung. Bei telefonisch erbrachten Verdolmetschungen stellt sich die Frage, welche sprachlich-kommunikativen Verfahren die dolmetschenden Personen nutzen, um die mangelnde Kopräsenz mit den primären Gesprächsbeteiligten und den fehlenden visuellen Zugang zu kompensieren.

Technische und situative Beeinträchtigungen, die bisweilen nicht antizipierbar und schwer behebbar waren (z. B. Übertönungen, Hintergrundgeräusche, Lautstärkeschwankungen), stellten die dolmetschenden Personen zwar vor gewisse Herausforderungen, in unseren quantitativ-qualitativen Analysen gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, dass kommunikative und gesprächsorganisatorische Phänomene, wie ein glatter Wechsel der Redebeiträge zwischen den Gesprächsbeteiligten, Verständigungshandlungen oder die Klärung von (potenziellen oder manifesten) Verständigungsschwierigkeiten bzw. Missverständnissen, besonders erschwert waren (Farag/Meyer 2022, 2023).

Zusammensetzung des Korpus

Die Transkription wurde mithilfe des EXMARaLDA Partitur-Editors weitestgehend nach den HIAT-Konventionen (Rehbein et al. 2004) durchgeführt. Arabischsprachige Sequenzen wurden aus darstellungstechnischen Gründen in lateinbasierter Umschrift verschriftet und ins Deutsche übersetzt. Das Korpus wurde mit dem EXMARaLDA Corpus-Manager (COMA) erstellt. Informationen, die auf die beteiligten Personen sowie auf die Beratungsstellen schließen lassen, wurden anonymisiert bzw. de-identifizierbar gemacht.

Die Transkripte dokumentieren dolmetschgestützte Beratungsgespräche zu asylbezogenen Themen. Das Korpus umfasst zwölf Gespräche (zu je ca. 30 bis 60 Minuten) zwischen Arabisch sprechenden Klient*innen ohne bzw. mit geringen Deutschkenntnissen und Deutsch sprechenden Sozial- sowie Jugendmigrationsberater*innen (kommunale Verweisberatung), zu denen verschiedene Dolmetscher via Telefon herangezogen wurden. Klient*innen und Berater*innen nahmen die Verdolmetschung über einen Lautsprecher akustisch wahr und konnten nur auditiv mit den (physisch abwesenden) Dolmetschern interagieren. Die Verdolmetschung erfolgte konsekutiv. Alle Gespräche erfolgten nach vorheriger Anmeldung. Die Berater*innen riefen einen Dolmetscher jeweils zum vereinbarten Termin an. Die Klienten waren Geflüchtete (überwiegend aus Syrien), die Hilfe beim Familiennachzug, Spracherwerb und anderen authentischen Anliegen benötigten. Alle beteiligten Dolmetscher, überwiegend beeidigt, verfügten über einen einschlägigen Hochschulabschluss und eine mehrjährige Berufserfahrung, jedoch nicht oder nur geringfügig in remote-Situationen. Die Klient*innen sind die einzigen Teilnehmer*innen, die nur einmal im Korpus auftreten. Alle Dolmetscher und ein Teil der Berater*innen waren jeweils an mindestens zwei Gesprächen beteiligt. Bis auf zwei Vier-Parteien-Gespräche, an denen jeweils zwei verwandten Klient*innen teilnahmen (Mutter und Sohn bzw. zwei Brüder), waren die Gespräche triadisch strukturiert. Klient*innen und Dolmetscher sprachen verschiedene regionale Varietäten des Arabischen (Ägyptisch, Jemenitisch, Libysch, Marokkanisch und Syrisch).

Die rekonstruierten Handlungen beruhen vornehmlich auf den Audioaufzeichnungen beider Interaktionsräume. Die Videoaufzeichnungen wurden unterstützend zur Transkription hinzugezogen. Sie ermöglichten die Erschließung sämtlicher Handlungen, die in den Audioaufzeichnungen nicht eindeutig zuordenbar waren, sowie die Ermittlung weiterer nicht akustisch wahrnehmbarer Handlungen, die für den oder die anderen Gesprächsteilnehmer*innen im jeweils anderen Zimmer nicht sichtbar waren. So wurden technisch bedingte Übertönungen und andere Handlungen der Beteiligten, die wegen der mangelnden Kopräsenz nicht für alle Beteiligten in den beiden Interaktionsräumen hörbar oder die in einem Interaktionsraum ausschließlich visuell wahrnehmbar sind, in den jeweiligen Annotationsspuren durchgehend annotiert (z. B. ganz übertönt, teilübertönt, kaum hörbar etc.). Dagegen wurden Beschreibungen non- und paraverbaler Handlungen aus pragmatischen Gründen nur auszugsweise an untersuchungsrelevanten Stellen verschriftet.

Die Daten liegen als PDF-Dateien und als bearbeitbare (mit anderen Tools interoperable) Rohdaten in einer *.exb-Datei vor. Sie bergen noch viel unausgeschöpftes Potenzial für weitere (linguistische und dolmetschwissenschaftliche) Analysen und methodisch-methodologische Untersuchungen.

Weiterführende Literatur

Farag, Rahaf / Meyer, Bernd (2022): Telefondolmetschen Arabisch-Deutsch: Gesprächstranskription im Spannungsfeld von Mehrsprachigkeit, schriftlichem Standard und Varietätenvielfalt. In: Grawunder, Sven / Schwarze, Cordula (Hg.): Transkription und Annotation gesprochener Sprache und multimodaler Interaktion: Konzepte, Probleme, Lösungen. Tübingen: Narr. S. 213-237.

Farag, Rahaf / Meyer, Bernd (2023): Coordination in telephone-based remote interpreting. In: Interpreting 26.1, 80-113. [https://doi.org/10.1075/intp.00097.far]

Farag, Rahaf (2023): Computergestützte Transkription arabisch-deutscher Gesprächsdaten: ein methodischer Beitrag zur Untersuchung gedolmetschter Gespräche. FTSK: Publikationen des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim 75. Lausanne: Peter Lang.